Die Sachgesamtheit Neuer Friedhof liegt am Nordende der Stadt, weit außerhalb der gründerzeitlichen Bebauung auf dem 188 m hohen Rodtberg. Eine spitzwinklig von der Marburger Straße abgehende, früher mit Ulmen bestandene Stichstraße, die Friedhofsallee, führt geradewegs zum Hauptportal des Friedhofes.
Da der Alte Friedhof aufgrund der gestiegenen Bevölkerungszahlen nicht mehr ausreichte, plante man ab der Jahrhundertwende einen neuen Friedhof. Er wurde nach Plänen des Stadtbaumeisters Schmandt ausgeführt und am 1. Juli 1903 eröffnet. Man wählte ein bis dahin unbebautes, von Sandgruben durchzogenes Gelände zwischen der Main-Weser-Bahn und der damals neuen Marburger Straße. Ganz in der Nähe lag an einem Verbindungsweg zwischen der alten Kasselischen Straße und der heutigen Marburger Straße eine alte Richtstätte, das Hochgericht mit dem Galgen.
Beschreibung
Kern und zentraler Bezugspunkt der Friedhofsanlage ist ein symmetrisch gestalteter, historisierender Gebäudekomplex am Eingang des Friedhofes. Er besteht aus der Friedhofskapelle, einem quadratischen Vorhof und einem vorgelagerten Torbau. Das markante, an der höchsten Stelle des Rodtberges erbaute und daher weithin sichtbare Ensemble ist aus einheitlichen Materialien (dunkelgrauer Lungstein, hellgrauer Sandstein, Schiefer) erbaut, die die Würde der Gebäude betonen. Die von romanischen und gotischen Formen bestimmten Bauten sind im Sinne einer beim Durchschreiten sich erschließenden Raumfolge auf einer Achse hintereinander aufgereiht: Der mit einem Walmdach und Blendbogengliederung versehene Torbau hat einen Mittelrisalit mit gotizierendem Staffelgiebel und dreifenstrigem Erker über der rundbogigen Durchfahrt. Ähnlich wie die seitlich sich anschließenden Außenmauern der Hofanlage (hier symmetrisch geordnete Rundbogenportale), ist er durch Bogenfriese und Lisenen gegliedert. Der sich anschließende düster und feierlich erscheinende Hof wird durch erhöhte Säulengänge mit Familiengrüften (u. a. Familie Poppe, Heyligenstaedt, Franz Riegel) gerahmt. Gedrungene Säulen mit Basen, glatten Schäften und reliefierten Würfelkapitellen stützen die Arkaden. Am Ende des Hofes steht die mit einem Satteldach und einem Dachreiter ausgestattete Kapelle. Sie ist mit ihrer Schmalseite und dem steil proportionierten Giebel (Treppenmotive) zum Hof orientiert. Wegen der im Innern installierten Versenkungseinrichtung für die Särge hat sie zwei Geschosse. Dies spiegelt sich auch am Außenbau wider: So ist das hochgelegene Hauptportal über eine zweiarmige Außentreppe zu erreichen, ein zweites Portal zu ebener Erde führt zur Leichenhalle. Die beiden Portale und ein zentrales Rundfenster liegen in der Mittelachse des Gebäudes übereinander. Das spitzbogige Hauptportal ist dabei durch seine tabernakelartige Rahmung, das reliefierte Tympanon (Lebensbaummotiv mit Inschrift: Friede sei mit Euch) und die flankierenden Rundbogenfenster in der Bedeutung hervorgehoben.
Hinter und besonders östlich der Kapelle schließen sich die ältesten Gräberfelder an. Großzügige, z.T. künstlerisch gestaltete Familiengräber finden sich vor allem entlang der Außenmauer. Als Beispiele seien genannt: die Gräber der Zigarrenfabrikanten Klingspor und Nattmann, das Grabmal der Familie G. Schneider und das der Familie Dr. Klein.
Die jüdische Friedhofshalle, die etwas separiert im östlichen Teil des Friedhofes liegt, ist ähnlich aufwendig gestaltet wie das Kapellenensemble. Auf T-förmigern Grundriss errichtet, zeigt sie romanische Formen, die Materialien sind dunkelgrauer Lungstein, roter Sandstein und Schiefer. Der mit einem Satteldach ausgestattete Hauptbau ist durch einen halbhohen Zwischenbau an der Rückseite mit einem niedrigeren Querhaus (Walmdach mit Dachreiter) verbunden. Auf der Frontseite ist eine separate, schmale Eingangshalle vorgelagert. Wichtige Gestaltungsmerkmale sind das rundbogige Hauptportal, mit seinem durch Blendbögen verzierten Giebel, das gekoppelte Drillingsfenster an der Stirnseite und die Zwillingsfenster der Langseite. Das an Detailformen (korinthisierende Säulchen, Gesetzestafeln als oberer Abschluss des Giebels, Originaltür mit filigranem Beschlagwerk, bleiverglaste Fenster) reiche Gebäude ist mittels eines geraden Weges, der genau auf das Portal zuläuft, mit dem übrigen Wegenetz und den Gräberfeldern der jüdischen Abteilung verbunden.
Carl Bischof, der sich zur Zeit um die Bestandsaufnahme der jüdischen Friedhöfe in Hessen bemüht, beschreibt das jüdische Gräberfeld folgendermaßen: „Um die Jüdische Friedhofshalle liegen einige, durch Wege getrennte Gräberfelder des Neuen Jüdischen Friedhofs, darunter eines der orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft. Der 1907 eröffnete und eingeweihte Friedhof umfasst 3719 qm und ist im Besitz der Jüdischen Gemeinde zu Gießen. Die 308 noch vorhandenen Grabsteine, die in dichten Gruppen auf 6 Teilflächen stehen, geben ein Bild der ehemals großen Jüdischen Gemeinde in Gießen. Besonders auf den entlang der Außenmauer stehenden, repräsentativ ausgestatteten Familiengrabstätten finden sich die Namen bekannter und verdienter Persönlichkeiten (z.B. Heichelheim, Herz und Dreyfuss). Eine eindeutige Abgrenzung zum christlichen Friedhof ist - wie es die Halacha vorschreibt - nicht vorhanden. Auch die Besonderheiten der Ornamentik und der Jüdischen Symbolik sind wenig ausgeprägt, was mit der am Anfang des Jahrhunderts weit fortgeschrittenen Assimilierung zu tun haben mag. Als bemerkenswerte Gräber seien genannt: Grab des Leviten Markus Kann (1853-1918). Grab des Gründers der Gießener Schaumesse Isaak Walldorf (18571920). Grab von Prof. Dr. Ernst Friedberger (1875-1936). Grab des in den Argonnen gefallenen Soldaten Semmy Rothenberger (1883-1914). Grab des Schammes Moritz Mainz (gest. 1917).. Grab des Dr. med. Hugo Mayer (18871917), der als Oberarzt im 1. Weltkrieg den Heldentod fand und dessen Name eng mit der Dr. Hugo Mayer-Stiftung verbunden ist."
Zum schützenswerten Bestand des Friedhofes gehören die Friedhofskapelle, die jüdische Friedhofshalle, die genannten, älteren Gräberfelder einschließlich des historischen Wegenetzes, der alte, auch ökologisch bedeutsame Baumbestand und die Außenmauern. Der Friedhof ist wegen seiner künstlerischen, geschichtlichen und städtebaulichen Bedeutung als Sachgesamtheit Kulturdenkmal.
Die Sachgesamtheit Alter Friedhof (Flur 4, Flurstücke 54/1+2, 55/1, 56, 58) liegt östlich der Kernstadt auf einem kontinuierlich ansteigenden, südlich der Licher Straße gelegenen Areal. Die Sachgesamtheit umfasst das gesamte Friedhofsgelände in seiner historischen Aufteilung und gärtnerischen Gestaltung. Zum Bestand gehören also die heute z.T. parkartig gestalteten Gräberfelder, die beiden jüdischen Abteilungen, der Ehrenfriedhof für die im Krieg 1870/71 Gefallenen, die Grabmäler und Totenhäuschen, die Friedhofskapelle (Licher Straße 4) samt ihrer Innenausstattung, die Umfassungsmauern und Tore, die 1937 nach Plänen Graverts erbaute Kiosk-, Toiletten- und Umspannanlage an der Ecke zum Nahrungsberg (Licher Straße 2) sowie die zwischen Licher Straße und Friedhof verlaufende Parkanlage, die von dem Gießener Forstwissenschaftler Prof. Dr. Gustav Heyer (1826-1883) angelegt wurde.
Geschichte des Friedhofs
Als bei der Pestepidemie von 1529 innerhalb kurzer Zeit 1500 Menschen (etwa die Hälfte der Stadtbevölkerung) starben, wurden auf einem Acker in
gehörigem Abstand zum Neuweger Tor Massengräber angelegt. Im Zuge des Festungsbaues (1530-1533) durch Landgraf Philipp den Großmütigen wurden die beiden älteren Friedhöfe (Friedhof der Stadtkirche und Friedhof von Selters) aufgegeben. Man verlegte den Stadtfriedhof nun offiziell an die Nordseite des Nahrungsberges, und zwar an die Stelle, wo sich von alters her die Wege nach Grünberg und Lich gabeln.
Die erste Friedhofsanlage umschloss ein 105 x 60 m großes Rechteck. Zwei Schenkel der ursprünglichen, aus graublauen Basaltsteinen errichteten Mauer haben sich im Norden (bis zum heutigen Haupteingang) und Westen erhalten. Ein rundbogiges, heute vermauertes Portal an der Westseite (Nahrungsberg) markiert den einstigen Friedhofseingang. Es dürfte gleichzeitig mit der Kapelle, also um 1623, entstanden sein und führte unmittelbar zu der mit drei Eingängen versehenen Hauptseite der Kirche.
Im Laufe der Zeit wurde der Friedhof sowohl nach Süden als auch nach Osten mehrfach erweitert. Im Gegensatz zum älteren Teil des Friedhofes, dessen Wegenetz unregelmäßig verlief (nur noch rudimentär erhalten), verlaufen dort die Wege parallel bzw., wie im neuesten Teil (Süden) zu beobachten, im Halbrund. Als Baumaterial für die Mauereinfriedung diente nun roter Sandstein, der durch die Schleifung der Festungsmauern ab 1807 in großer Menge vorhanden war.
Die jetzige Ausdehnung hatte der Friedhof gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreicht, seine Kapazität war nun erschöpft, der Neue Friedhof auf dem Rodtberg wurde geplant und 1903 seiner Bestimmung übergeben.
Die Friedhofskapelle
Das ursprüngliche Aussehen der 1623-1625 durch den Gießener Baumeister Johannes Ebel zum Hirsch erbauten „Kapelle auf dem Gottesacker" ist leider nicht genau überliefert. Eine um 1830 entstandene, anonyme Lithographie (E. Komp, S. 228) zeigt den Bau nur ungenau und von der Rückseite. Soviel lässt sich erkennen: Die Kapelle war damals bereits zweigeschossig und hatte ein schlichtes Satteldach. Da die Kapelle infolge missbräuchlicher Nutzung (Pulverdepot der Artillerie während der französischen Revolutionskriege) stark gelitten hatte und einzustürzen drohte, war eine grundlegende Erneuerung notwendig: Der Architekt und Kunsthistoriker Hugo von Ritgen erhielt 1840 den Auftrag. Auf ihn geht das heutige, vorwiegend historistisch geprägte, von der oberhessischen Bauweise abgeleitete Erscheinungsbild der Kapelle zurück. Das streng gegliederte, auf dem Reißbrett entworfene Fachwerkobergeschoss, das mit Krüppelwalmen versehene Satteldach und der Innenausbau (umlaufende, pfeilergestützte Empore mit Dockenbrüstung, Halbkreistonnendecke) stammen aus dieser Zeit. Trotz dieser tiefgreifenden Veränderung blieben Teile der alten Kapelle erhalten: Das massiv gemauerte, rechteckige Untergeschoss und besonders die Südseite, die durch drei symmetrisch angeordnete Portale geprägt wird. Das mittlere, rundbogige Renaissanceportal ist durch seine Größe und durch dekoratives Beschlagwerk im Bogen sowie durch flankierende Muschelnischen hervorgehoben, die beiden seitlichen Portale haben schlichte Spitzbögen. Das heutige Hauptportal an der Nordseite, das erst 1717 - wohl bedingt durch den neuen Friedhofseingang - entstand, ist ebenfalls rundbogig. Der für die Kapelle so charakteristische, romantisierende Dachreiter stammt aus dem Jahr 1862, die Glocke aus dem selben Jahr wurde laut Inschrift von Georg Otto, einem Gießener Glockengießer, gegossen. Im Zuge des Umbaus von 1936 wurde der Altar vom Osten auf die Westseite verlegt. Zu bedauern ist, dass die alten Bänke, die ältesten aus der Zeit um 1800, 1964 durch eine neue Bestuhlung ersetzt wurden. Die Kapelle auf dem Alten Friedhof, die seit 1927 von der Luthergemeinde als Gemeindekirche genutzt wird, ist einschließlich ihres bedeutenden Inventars (u.a. Großes Holzkruzifix aus der Erbauungszeit und die von Adam und Philipp Frank aus Marburg geschaffenen Grabmäler der Gelehrten Johannes Winkelmann, gest. 1626, Justus Feuerborn, gest. 1656 und Petrus Haberkorn, gest. 1676) Kulturdenkmal aus stadtgeschichtlichen, künstlerischen und kirchengeschichtlichen Gründen.
Die Gräberfelder und ihre Grabdenkmäler
Der Alte Friedhof wird nur noch in Ausnahmefällen belegt, er hat heute immer mehr die Funktion eines Parkes. Während im vorderen Teil des Friedhofes weite Flächen abgeräumt sind (nur wenige, bedeutende Grabmäler blieben an ihrem alten Ort), bietet der obere Teil ein noch geschlosseneres Bild. Die beiden jüdischen Abteilungen, die größere liberale, die kleinere orthodoxe, blieben gemäß den religionsgesetzlichen Grundlagen der Halacha, die u.a. ein ewiges Ruherecht fordert, in großer Dichte erhalten.
Einen bedeutenden Schwerpunkt bilden die älteren, sekundär aufgestellten Grabsteine des 16. bis 18. Jahrhunderts, die an den beiden erhaltenen Teilen der ältesten Friedhofsmauer, an der Außenmauer und im Innern der Kapelle (in den Boden eingelassene Grabplatten, meist überdeckt) aufgestellt sind. Zwei der ehemals drei Totenhäuschen gehören ebenfalls in diesen Zusammenhang.
Die heute vereinzelt stehenden, klassizistischen Grabsteine bilden eine zweite Gruppe. Die künstlerisch bedeutendsten unter ihnen sind von der Hand des seit 1817 in Darmstadt ansässigen Hofbildhauers Joh. Baptist Scholl des Älteren.
Die Grabmäler des Historismus und der Folgezeit, die sich in der Regel noch in situ befinden, sind die zahlenmäßig stärkste Gruppe. Werke von Joh. Baptist Scholl dem Jüngeren, Friedrich Küsthardt dem Älteren und von Fritz Schaper aus Berlin bilden hier die Glanzpunkte.
Zu den jüdischen Abteilungen schreibt Carl Bischof, der sich intensiv um die Bestandsaufnahme der jüdischen Friedhöfe in Hessen kümmert: „Auf dem Alten Friedhof am Nahrungsberg befindet sich ein aus zwei räumlich getrennten Gräberfeldern bestehender Jüdischer Friedhof, der mit einem separaten Eingang (Licher Straße) ausgestattet ist. Er wurde 1826 eröffnet, vordem wurden die Juden aus Gießen in Großen Linden beigesetzt. Der Eigentümer des Jüdischen Friedhofes ist die Jüdische Gemeinde zu Gießen. Eine Chewra Kaddischa (Heilige Bruderschaft, Beerdigungsbruderschaft) besteht seit 1867. Im Jahre 1908 wurde der Friedhof geschlossen, nur vereinzelt fanden noch Beisetzungen in Familiengräbern statt. Im unteren Gräberfeld, nordseitig durch die Friedhofsmauer zur Licher Straße, an den anderen Seiten durch Hecken und Böschung eingefriedet, befinden sich noch 223, meist aufrecht stehende Grabsteine. Auffällig ist, dass die schlichten, kaum verzierten Steine in dichten Reihen stehen. An bemerkenswerten Gräbern seien genannt: Das Grab des Rabbiners Dr. Benedict Samuel Levi (1806-1899) und seiner Ehefrau, das Familiengrab Seiner Exzellenz Abraham Sack (1826-1893), die Grabstelle des Stadtverordneten Meyer Homberger (1820-1898) und seiner Ehefrau sowie das Grabmal des Zigarrenfabrikanten Siegmund Bock (1827-1884) und seiner Ehefrau Ottilie. Im oberen, kleineren Gräberfeld, das im Norden durch einen Weg und zum christlichen Gräberfeld durch eine Hecke abgegrenzt wird, finden sich noch 32 Grabsteine, davon sind 9 Kindergräber. Beisetzungen fanden hier zwischen 1890 und 1926 statt."
Bewertung
Der Alte Friedhof ist als bedeutendes Zeugnis deutscher Sepulkralkultur Kulturdenkmal im Sinne einer Sachgesamtheit. Mit seinem reichen und einzigartigen, durch Umwelteinflüsse leider stark gefährdeten Bestand an historischen Grabdenkmälern dokumentiert er auf anschauliche und eindringliche Weise die Gießener Stadt-, Universitäts- und Familiengeschichte vom 16. bis ins frühe 20. Jahrhundert und bietet darüber hinaus einen guten Überblick über die Entwicklung der Grabmalskunst.
Die Sachgesamtheit umfasst die 6 noch erhaltenen Gebäude der ehemaligen Provinzialsiechenanstalt (Licher Str. 62/64/70/72/74/76) sowie das ehemalige Provinzial-Kinderheim (Licher Str. 66) samt der originalen Einfriedung und dem alten Baumbestand.
Das großflächige Areal, das seit vielen Jahren von der Universität genutzt wird, grenzt im Norden an die Licher Straße, im Osten an die Bahnstrecke Gießen-Fulda, im Süden an den Alten Steinbacher Weg und im Westen an den Lutherberg. Nicht zum alten Bestand gehörende, ungeschickt situierte Gebäude und weiträumige Parkplatzflächen stören den heutigen Gesamteindruck. Wichtige Achsenbezüge zwischen den Gebäuden sind unterbrochen.
Die ab 1903 im Betrieb befindliche, für 600.000 Mark errichtete Siechenanstalt galt zur Zeit ihrer Erbauung als mustergültig, da die Kranken dezentral (sog. Pavillonstil) untergebracht waren. Sie lag außerhalb der gründerzeitlichen Bebauungsgrenze und war in ein parkartiges Gelände mit großzügigem Wegenetz eingebettet.
Der an barocke Schlossanlagen erinnernde Gebäudekomplex war in ein strenges Achsensystem eingebunden: Auf der Mittelachse der zur Licher Straße orientierte Verwaltungsbau, dahinter, auf derselben Achse liegend, aber durch einen Bleichplatz getrennt, die Versorgungsgebäude (Kochküche, Waschküche und Stall). Rechts und links, nach Männer- und Frauenseite geordnet, je zwei flankierende, symmetrisch aufeinander Bezug nehmende Anstaltsgebäude. Das jeweils vordere für 120 Pfleglinge, das jeweils hintere für 20 unreine Pfleglinge.
Auch die Außengestaltung der drei-, zwei- und eingeschossigen Gebäude war außergewöhnlich aufwendig. Besonders das Verwaltungsgebäude mit seinem barockal gestalteten Mittelrisalit, dem hohen, biberschwanzgedeckten Mansarddach und dem pittoresken Uhrtürmchen (leider entfernt), aber auch die beiden Küchenbauten, die mittels eines brückenartigen, terrassenartig erweiterten Zwischenbaus (dreiteilige, flachbogige Durchgänge) untereinander verbunden sind, hatten ursprünglich reiche Putzgliederung, die heute ebenso verloren ist wie die feingliedrige Sprossenteilung der Fenster. Trotz dieser Mängel, die durch geschicktere Fassaden- und Fenstergestaltung zumindest teilweise zu beheben wären, ist das historische Gebäudeensemble wegen seiner sozialgeschichtlichen, stadtgeschichtlichen und städtebaulichen Bedeutung als Sachgesamtheit Kulturdenkmal.
Ehemalige Heil- und Pflegeanstalt, heute Psychiatrisches Krankenhaus). Das historische Gelände der 1905-1912 erbauten „Irrenanstalt" grenzt im Nordosten an die Licher Straße, im Osten und Südosten an die sog. Fuchsschneise, im Südwesten an den Alten Steinbacher Weg und im Nordwesten an die Graudenzer Straße. Da die ehemaligen Wirtschaftsflächen (Gärtnerei, Gemüsefeld, Obstgarten) heute teilweise modern überbaut sind, gehören sie nicht zur Sachgesamtheit.
Anders als im Falle der Psychiatrischen Klinik und beim Siechenhaus hat die Anlage asymmetrischen Charakter. Die Gebäude wurden, ohne dass sich klare Achsenbezüge ergeben, in relativ großem Abstand voneinander auf dem weiträumigen Gelände verteilt. Es lag wohl in der Absicht der Planer, eine Konzentration von Gebäuden zu vermeiden und den Eindruck der Abgeschiedenheit in einem Waldgebiet zu erzeugen.
Der einstige, z.T. bis heute gültige Funktionszusammenhang lässt sich an der historischen Bezeichnung der Gebäude ablesen: Während das Pförtnerhaus, das Direktorenwohnhaus und die beiden Häuser für Oberärzte zur Licher Straße orientiert sind, liegt das Verwaltungsgebäude bereits etwas tiefer im Gelände. Das Versorgungszentrum der Anlage, das gewaltige, mit einem hohen Schornstein versehene Kesselhaus mit Waschküche und die benachbarte Küche schließen sich an. Etwa im Mittelpunkt des gesamten Areals die Anstaltskapelle. Sie liegt von den übrigen Bauten isoliert an einem diagonal geführten Hauptweg. Die eigentlichen Anstaltsgebäude sind wie beim Siechenhaus einer Frauen- und Männerseite zugeordnet. Hier finden sich für jeden Bereich, jeweils nach dem Grade der Erkrankung geordnet, sog. Landhäuser, Häuser für Unruhige, Häuser für Pflegebedürftige und Gebäude für Waschbedürftige. Abgeschieden, im südlichen Winkel des Areals gelegen, das sog. Feste Haus, das mit einer hohen, gefängnisartigen Mauer umgeben ist.
Alle historischen Gebäude der Anstalt haben einheitliche Gestaltungsmerkmale, die dem Forminventar des Jugendstils entstammen. Besonders charakteristische, überall zu beobachtende Elemente sind mächtige, verschieferte Mansardwalmdächer, große, geknickte Mansardgiebel, hohe Lungstein oder Bruchsteinsockel und große rundbogige Treppenhausfenster. Besonderen Wert wurde auf die Gestaltung der Portale gelegt. An einigen Gebäuden, so am Verwaltungsbau und am Haus 4 (Haus für Unruhige), haben sie sich erhalten. Typische Elemente sind die kleine, abgerundete Freitreppe, die pfeilerartigen Wandvorlagen, die mit Kugelaufsätzen versehenen Verdachungen und die rechteckigen oder ovalen Oberlichter. Eine Besonderheit bilden die beiden vielgliedrigen, mit winkelförmigem Grundriss versehenen Gebäude für Waschbedürftige. Hier wechseln eingeschossige, zurückgesetzte Trakte mit pavillonartig erhöhten zweigeschossigen Gebäudeteilen, so dass sich ein abwechslungsreiches Baugefüge ergibt. Die 1912 errichtete Kapelle vereint alle vorgenannten Stilmerkmale. Hauptcharakteristikum ist der massige, quadratische Uhrturm mit zweigestufter Verdachung (Welsche Haube mit oktogonalem Abschluss), den eine breite, durch toskanische Säulen (Sandstein) gestützte Vorhalle (Fußwalm) an drei Seiten umgibt. Das mit einem Satteldach ausgestattete Langhaus der Kirche findet seinen Abschluss in einem rechteckigen Annex, der mit einem Bogendach (Bohlenlamellenkonstruktion) versehen ist.
Aus Akten vom Dezember 1944 bis zum 15. März 1945 geht hervor, dass auf dem östlichen Teil des Anstaltsgeländes und im angrenzenden Waldgebiet während der letzten Kriegsjahre ein Barackenlager der „Führernachwuchsabteilung im Sanitätsdienst der Waffen-SS" stand. Laut mündlicher Überlieferung waren hier SS-Leute untergebracht, die aufgrund von „Sondereinsätzen" psychisch gestört waren.
Wegen seiner städtebaulichen, künstlerischen, medizingeschichtlichen und stadtgeschichtlichen Bedeutung ist das Anstaltsgelände einschließlich des alten Baumbestandes Kulturdenkmal im Sinne einer Sachgesamtheit.
Die 1812 durch den aus Dillenburg stammenden Unternehmer Georg Philipp Gail in Gießen gegründete Rauchtabakmanufaktur ist das älteste Industrieunternehmen der Stadt. Das erste, zunächst angemietete, später gekaufte Fabrikgebäude lag am Kreuzplatz an der Ecke Sonnenstraße neben der jetzigen Pelikanapotheke. Wegen der Ausweitung der Produktion auf Kautabak wurde schon 1825 die "von Gatzertsche Besitzung", ein größeres Anwesen an der Neustadt, für 16 600 Gulden angekauft. Die seit 1840 bestehende "Zigarrenfabrik Georg Philipp Gail" wurde als getrennte Firma dem Hauptunternehmen angegliedert. Sie entwickelte sich schon bald, nicht zuletzt wegen der sich ändernden Rauchgewohnheiten, zum bedeutendsten Zweig des Unternehmens und exportierte sogar nach Übersee.
Nachdem bereits 1891 durch Wilhelm Gail (Enkel des Firmengründers) die Gailsche Dampfziegelei und Tonwarenfabrik am Erdkauterweg im südlich der Stadt sich neu entwickelnden Industriegebiet errichtet worden war, wurde auch die bis dahin verkehrsungünstig im Zentrum der Stadt gelegene, stark expandierende Tabak- und Zigarrenfabrik auf ein benachbartes Gelände am Sandkauter Weg, das mit einem eigenen Gleisanschluss an die Bahnstrecke Gießen-Gelnhausen angebunden war, verlagert.
Nach einem Entwurf des Herforder Architekten Wilhelm Köster, der wenige Jahre später (1924/25) die Gailsche Villa an der Wilhelmstraße neoklassizistisch überformen sollte, entstand eine außergewöhnlich großzügige Fabrikanlage aus cremefarbenen Gailschen Klinkern. Der schlossartige Industriekomplex, der noch späte Reminiszenzen an einen klassizistisch geprägten Jugendstil zeigt, besteht aus dem zweiflügligen, dreigeschossigen Hauptbau, einem turmartig gestaffelten Nebengebäude mit oktogonalem Schornstein, einem lang gestreckten, zweigeschossigen Garagen- und Stallgebäude, einem kubischen Pförtnerhaus und einer repräsentativ gestalteten, doppelten Toranlage. Der Grundriss des an der Ecke Sandkauter Weg/Grüninger Pfad gelegenen Hauptbaus hat die Form eines spiegelverkehrten L. Während der längere, parallel zum Grüninger Pfad und zur Bahn geführte Flügel durch risalitartige Eckgestaltung hervorgehoben wird und mit einem großflächigen Walmdach (Schleppgaupe über die gesamte Länge der Frontseite) versehen ist, hat der kürzere Teil zum Sandkauter Weg ein dreiteiliges Sheddach. Hauptgestaltungsmerkmal sind die in stockwerkübergreifenden Nischen angeordneten, zum Quadrat tendierenden Fenster, deren originale Verglasung lückenlos erhalten ist. Wichtige Gestaltungselemente sind weiterhin die Zwillingsfenster des Obergeschosses, die im Zentrum der Westfassade durch ein Kranzgesims mit Zahnschnitt überfangen werden, die zwischen die Fenster eingestellten ovalen Schmuckelemente, die mit ihren emblematischen Reliefs (rauchende Putten, stilisierte Tabakpflanzen, etc.) programmatisch auf die Firma und die Zigarrenfabrikation verweisen sowie der in schwarzen Klinkern ausgeführte Firmenname mit dem Gründungsdatum.
Die komplett erhaltene, baukünstlerisch hervorragend gestaltete, ortsgeschichtlich wie industriegeschichtlich äußerst bedeutsame Fabrikanlage ist einschließlich der erwähnten Nebengebäude Kulturdenkmal im Sinne einer Sachgesamtheit.
Der Untere Hardthof liegt weit außerhalb der gründerzeitlichen Stadt jenseits der Lahn am Rande der Hardt.
Die Geschichte des Unteren Hardthofes lässt sich anhand der Hausakten bis 1859 zurückverfolgen. Die Bierbrauereibesitzer Gebrüder Heyer erbauten damals eine Scheuer auf dem Gelände der schon bestehenden Brauerei. 1868 errichteten die Nachbesitzer Textor und Heinz eine Malzdarre mit Speicher, die heute noch erhalten ist. Weitere Gebäude entstanden 1873 (Comptoir) und 1878 (Oeconomiegebäude, Wohnhaus, Architekt Jacob Stein) für Friedrich Textor, der nun alleiniger Besitzer war. Er erweiterte in der Folge den Brauereikomplex erheblich und erbaute auch das oberhalb der Brauerei gelegene Ausflugslokal „Textors Terrasse", das wegen seines Blickes auf die Stadt und die Umgebung sehr beliebt war. Mit dem Bau des heute leider nicht mehr vorhandenen, spätklassizistischen Wohnhauses nach einem 1883 datierten Entwurf Jacob Steins endet die Textorsche Bauphase. Nach dem Tod Textors (1892) erwarb Georg Bichler die Brauerei. Unter seiner Leitung wurde die Anlage in den Jahren 1898 bis 1905 noch erheblich erweitert und modernisiert. Nach Plänen des Frankfurter Ingenieur-Bureaus J. L. Langeloth entstand u.a. ein mächtiger Kühlturm (nicht mehr vorhanden), neue Eiskeller, eine neue Mälzerei und ein neues Sudhaus. Auch „Textors Terrasse" wurde weiter vergrößert. Mit dem Bau einer 1905 eingeweihten Radrennbahn und eines Sportplatzes entstand eine Art Vergnügungspark, der bis nach dem 1. Weltkrieg bei der Gießener Bevölkerung sehr beliebt war. In den 1920er Jahren erwarb die Stadt Gießen das Brauereigelände, das sie der Universität als Versuchsgut zur Verfügung stellte. Als in den 1970er Jahren das Gut an die Stadt zurückgegeben werden sollte und Abrisspläne bekannt wurden, setzte sich die 1976 gegründete „Interessengemeinschaft Unterer Hardthof"` für den Erhalt der ehemaligen Brauerei ein. In enger Zusammenarbeit mit dem Magistrat wurden in den letzten Jahren die Gebäude durch die Bewohner und neuen Eigentümer (Künstlerkolonie) restauriert, so dass nun der Erhalt gesichert erscheint.
Neben der oben schon erwähnten, ehemaligen Malzdarre von 1868 sind es vor allem die um 1905 erbauten Gebäudeteile, die heute das Gesamtbild prägen. Besonders das turmartige Sudhaus und die in ähnlicher Weise gestalteten Aufbauten auf dem mächtigen Eiskeller wirken durch ihre zweifarbigen, stark gegliederten Klinkerfassaden auch auf große Entfernung. Hauptcharakteristikum sind die dekorativen, rot abgesetzten Klinkermotive, die sich scharf vom cremefarbenen Grund absetzen. Die Einzelmotive, gerahmte Flachbogenfenster, lisenenartige, abgetreppte Wandvorlagen, Rundbogen oder Zinnenmotive entstammen dem Forminventar des Historismus, sind aber bereits expressionistisch beeinflusst.
Trotz schlimmer Eingriffe (Abriss der vorderen, den Hof abschließenden Gebäudezeile wegen Straßenbau) hat der Untere Hardthof seine Atmosphäre insgesamt bewahren können. Er ist wegen seiner wirtschafts- und technikgeschichtlichen Bedeutung und seinem hohen Erinnerungswert für die Gießener Bevölkerung Kulturdenkmal. Die Sachgesamtheit umfasst sämtliche noch erhaltenen Gebäude der historischen Brauerei, die unterirdischen Anlagen, die Kopfsteinpflasterung und den alten Baumbestand.
Der Obere Hardthof liegt am höchsten Punkt (ca. 200 m) der Härdthöhe im äußersten Nordwesten der Gießener Gemarkung.
Der Gutshof, über dessen Geschichte wenig bekannt ist, dürfte in den 20er oder 30er Jahren des 19. Jahrhunderts an einem über die Hardt führenden Weg von Rodheim nach Gießen entstanden sein. Ein nicht datierter, wohl aus den 1850er Jahren stammender Situationsplan und ein nur wenig früher anzusetzender Aquatinta-Druck von Tanner belegen die bis heute erhaltene Konstellation von Wohnhaus und Scheune. Ein anderer Situationsplan von 1888 dokumentiert, dass das Gut zu diesem Zeitpunkt schon zahlreiche Nebengebäude hatte. Besitzer ist nun Karl Schlenke, der erstmals im Adressbuch von 1877 als Gutsbesitzer (Hardthof 18) genannt wird. 1906 stellt der neue Eigentümer, der Brauereibesitzer Georg Bichler, dem auch die Brauerei am Unteren Hardthof gehörte, einen Bauantrag zur Erweiterung eines Nebengebäudes. Auf dem beiliegenden Situationsplan ist der heute noch existierende Wasserturm bereits eingetragen. In den 1920er Jahren wurde der Obere Hardthof zusammen mit dem Unteren Hardthof Versuchsgut der Universität Gießen.
Das klassizistische Wohnhaus, ein zweigeschossiger, schlichter Rechteckbau mit verschiefertem Walmdach und breit gelagerten Mittelrisaliten nach vorn und hinten hat sich, wie der Vergleich mit der Darstellung von Tanner zeigt, bis heute kaum verändert. Die symmetrischen Fassaden werden vor allem durch die Zwerchdächer der Mittelrisalite und durch die in gleichmäßigem Abstand gehaltenen Rechteckfenster (Klappläden) bestimmt. Die zentral gelegenen rundbogigen Eingänge werden von Lünettenfenstern flankiert, deren Sprossenteilung, wie übrigens auch die der meisten anderen Fenster, noch original erhalten sind. Das eigentliche Wahrzeichen des Hofes ist der vom Jugendstil beeinflusst, markante Wasserturm, der nach der Jahrhundertwende, aber vor 1906, errichtet wurde. Seine differenzierte, äußerst dekorative Erscheinung (Natursteinsockel, polychromer Einsatz von Klinker, verschindeltes Obergeschoss, kegelförmiger, verschieferter Turmhelm) dokumentiert auf hervorragende Weise das Bestreben der Zeit, technische Anlagen künstlerisch zu gestalten. Zusammen mit den historischen Nebengebäuden und der Zufahrt ist der Oberere Hardthof als einziges Beispiel eines klassizistischen Hofgutes in Gießen Kulturdenkmal im Sinne einer Sachgesamtheit.
Die Sachgesamtheit des Universitätsforstgartens (Akademischer Forstgarten) liegt am Fuße des Schiffenbergs auf einem spitzwinklig zulaufenden Areal zwischen Schiffenberger Weg (Hausener Straße) und dem Forstgartenweg (Clementia-Weg).
1825 wurde die Hessische Forstlehranstalt als eigenständige, von der Universität unabhängige Institution gegründet. Direktor war Johann Christian Hundeshagen. Im Zuge dieser Gründung wurde ein Pflanzgarten notwendig, der sowohl dem forstpraktischen Unterricht als auch forstbotanischen Studien dienen sollte. Auf einer Fläche von 0,5 ha legte Oberforstmeister von Gall den Forstgarten an, auf dem bis 1830 nahezu 400 verschiedene Forstgewächse gepflanzt wurden. Auf Drängen von Hundeshagen wurde die Anstalt 1831 der Universität einverleibt. So entstand in Gießen das älteste Universitätsforstinstitut der Welt. In der Folge prägten die Forstprofessoren Carl Justus Heyer (1835-56), Gustav Heyer (1854-68) und Richard Hess (1868-1916) die Gestaltung des Forstgartens. Nach einer Bestandsaufnahme von Richard Heß wuchsen im Forstgarten 1890 etwa 270 verschiedene Bäume und Sträucher. Als bedeutendes, international bekanntes Arboretum mit vorwiegend ausländischen Holzarten diente er in erster Linie Studienzwecken. Zugleich entwickelte sich der Forstgarten aber auch zum Ausflugsziel der Gießener Bevölkerung. Auf dem Weg zum Schiffenberg legte man hier gerne eine Rast ein. Mit einigen Unterbrechungen betrieben die wechselnden Betreuer des Gartens bis in die 50er Jahre eine Gartenwirtschaft. Als 1938 der Reichswissenschaftsminister entschied, das Gießener Forstinstitut zugunsten der forstwissenschaftlichen Ausbildung an der Universität Göttingen aufzulösen, fiel der Forstgarten an die Staatsforstverwaltung zurück. Trotz dieses Rückschlages ist der Forstgarten, der seit 1985 wieder für die Öffentlichkeit zugänglich ist, mit seinem Bestand von mehr als 200 verschiedenen Baum- und Straucharten auch heute noch eine bedeutende Sammlung lebender Gehölze.
Wegen seiner universitäts- und wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung und als Ort von hohem Erinnerungswert ist der Universitätsforstgarten Kulturdenkmal im Sinne einer Sachgesamtheit. Zum Bestand gehören das auf die Gründungsphase zurückgehende, 1886 mit einem Seitenflügel (Professoren Arbeitszimmer, kleiner Hörsaal) versehene Wohnhaus, die beiden Wirtschaftsgebäude, von denen eines im Sinne des Historismus (Fachwerkobergeschoss, Krüppelwalmdach) gestaltet ist, die große, nach allen Seiten offene Holzlaube (Kaffeehalle), der Teich, der Gedenkstein für Heß, der wahrscheinlich um 1914 von einer Gießener Fünfzigervereinigung auf einem künstlichen Hügel errichtete hölzerne Pavillon, das alte Wegenetz und nicht zuletzt der wertvolle, alte Baumbestand.
Die Gesamtanlage umfasst den historischen Ortskern, der sich etwa bis Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt hat:
Friedhofstraße 1-3, 2-8
Hintergasse 1-6
Hüttenbergstraße 1-15, 2-14
Kleebachstraße 3
Obergasse 1-15, 2-22
Untergasse 1-19, 2-32
Das Zentrum des alten Dorfkerns befindet sich südöstlich der Kirche am sogenannten Backhausplatz. Am dortigen Kreuzungsbereich treffen sich die dörflichen Hauptstraßen: die nach Gießen führende Untergasse, die nach Westen als Obergasse weitergeführt wird, die Friedhofstraße Richtung Norden sowie die nach Süden führende Hüttenbergstraße. Die Dorferweiterungen des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts erstrecken sich Richtung Westen, Süden und vor allem nach Nordosten.
Die historische Gebäude- und Parzellenstruktur ist noch weitgehend erhalten und ablesbar. Das historische Dorfbild ist geprägt durch die vielfach erhaltenen Hüttenberger Hofreiten aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Die grundsätzlich giebelständig zur Straße orientierten Wohngebäude besaßen das für die Region typische Hüttenberger Hoftor. Entlang der längsseitigen Grundstücksgrenze liegen niedrigere Nebengebäude, die mittlerweile oft durch Neubauten ersetzt wurden. Die Hofanlagen werden rückwärtig durch Scheunengebäude begrenzt. Aufgrund der einheitlichen Hof- und Parzellenstruktur haben sich so zusammenhängende Scheunenzeilen entwickelt, die vor allem noch in der Untergasse, der südlichen Obergasse sowie der westlichen Hüttenbergstraße erhalten sind. Hinter den Scheunenzeilen erstrecken sich lange, schmale Gartengrundstücke, die als Grüngürtel den historischen Ortsrand markieren. Obwohl einige Gebäude stark überformt oder durch Neubauten ersetzt wurden, hat sich der Grundriss der ehemaligen Hofanlagen erhalten.
Die regelmäßige Ortsstruktur aus den meist giebelständigen Hofreiten, den rückwärtigen Scheunenzeilen sowie den Grünflächen sind von besonderer Bedeutung für die historische Ortsentwicklung und daher aus geschichtlichen Gründen Gesamtanlage.
Die Gesamtanlage umfasst den oberen und wohl auch ältesten Teil des Dorfes um die Kirche herum.
Außer der namengebenden Rheinfelser Straße mit ihren großen Hofreiten und den kleinen Seitengassen gehören zum Bestand: Die ehemals befestigte Kirche mit dem Kirchhof, das frühere Rathaus samt dem seitlichen Vorplatz, der Kirchweg mit den seitlich und hinter der Kirche liegenden Hofreiten, das frühere Rathaus, der Einmündungsbereich der Lindenstraße bis zum ehemaligen Kolbengraben (Weingartenstraße) und das bedeutende Hofensemble An der Schule.
Besondere ortsbildprägende Bedeutung kommt der südöstlichen Scheunenreihe entlang der Rheinfelser Straße (Ortsrand) und der Scheunenreihe auf der Rückseite der An der Schule gelegenen Höfe zu.
Objekte, die eine besonders konstitutiv wichtige Rolle innerhalb der Gesamtanlage spielen, sind folgende Hofreiten:
Rheinfelser Straße 19
Vollständige, von der Straße zurückliegende, großflächige Hofreite. Da der Dorfplan von 1823 bereits eine der heutigen Situation ähnliche Gebäudekonstellation zeigt, ist der Hof trotz seiner insgesamt relativ jungen Bebauung zum Ensemble des historischen Dorfkernes zu zählen. Zusammen mit dem 1925 datierten Torgebäude ist er aufgrund seiner Nachbarschaft zu Kirchhof, alter Schule und Rathaus wichtig für das Ortsbild. Besondere Bedeutung kommt ihm als Raumriegel zu, da er den ihm vorgelagerten freien Platz, auf dem sich ursprünglich ein Weiher (Weth) befand, optisch abschließt.
Rheinfelser Straße 54
An der Ecke zur Schwarzen Hohl gelegene Hofreite mit unregelmäßigem Zuschnitt. Besonders die exponierten, merkwürdig verschachtelten, wegen der Enge der Hofreite schmal gehaltenen Wirtschaftsgebäude sind für das Straßenbild wichtig.