Schon in den frühen Nachkriegsjahren bemühte sich die Stadt Darmstadt massiv um die Wiederansiedlung von Kunstschaffenden aller Sparten im Stadtgebiet. Gemeinsam mit der Wiederaufbau GmbH entstanden insbesondere im Umfeld der innenstadtnahen Mathildenhöhe mehrere Mietshäuser für durch den Krieg wohnungslos gewordene Künstler. Auch Grundstücksankäufe und Wohnhausneubauten investitionswilliger Interessenten wurden durch den 1949 auf Initiative der Stadt gegründeten Verein der Förderer der Darmstädter Künstlerkolonie subventioniert. Die bewusste Anknüpfung an das künstlerische und ideelle Erbe der unter großherzoglicher Ägide entstandenen Künstlerkolonie Mathildenhöhe wurde dabei von den Verantwortlichen stets hervorgehoben. Im Zuge dieser Unternehmungen entstand 1953 auch der Verein Neue Künstlerkolonie Rosenhöhe unter maßgeblicher Beteiligung des Prinzen Ludwig von Hessen. Dieser hatte sich schon früh für die Wiederherstellung der kriegszerstörten Darmstädter Museen (Schlossmuseum, Porzellansammlung und Landesmuseum) eingesetzt und war bestrebt, das Vermächtnis seines Vaters, Großherzog Ernst Ludwig von Hessen, in zeitgemäßer Form weiterzuführen. Mit der Idee einer neu zu gründenden Künstlerkolonie verfolgten die Vereinsmitglieder, unter denen sich auch der Darmstädter Oberbürgermeister Ludwig Engel, der Architekt und Leiter der Wiederaufbau GmbH Kurt Jahn sowie der Architekt und Mitbegründer der Darmstädter Sezession Otto Bartning befanden, vornehmlich soziale Aspekte. In einer Erklärung des Prinzen Ludwig aus dem Jahr 1955 heißt es: „Im Drang der heutigen Zeit braucht der geistige Mensch Ruhe und Möglichkeit zu Besinnung, die wollen wir ihm geben. […]. Im Gegensatz zur alten Kolonie verfolgen wir kein Programm und verlangen überhaupt keine Gegenleistung von den Angesiedelten. Dafür müssen sie einen geringen Mietzins für die für sie errichteten Häuser zahlen.“ Nach den Vorstellungen Ludwigs sollten sich an diesem Ort junge Künstler und Handwerker niederlassen, die sich zukunftsgewandt der „romantischen Feindschaft gegen Technik und Massenerzeugung“ entgegenstellten, um moderne Errungenschaften und Kunst gemäß den Bedürfnissen der Allgemeinheit miteinander zu verbinden.
Für die geplanten Bauvorhaben stellte der Prinz ein Grundstück auf dem Areal des großherzoglichen Parks Rosenhöhe zur Verfügung, das er der Stadt für ein geringes Entgeld verkaufte. In zwei Bauphasen entstanden zwischen 1955 und 1967 ebenfalls mit Hilfe der Wiederaufbau GmbH insgesamt neun Wohnhäuser mit unterschiedlicher Konzeption. Nach dem Tod des Prinzen Ludwig 1968 übernahm dessen Frau Margret den 1. Vorsitz. Mit der Auflösung des Vereins 1974 übernahm die Stadt Darmstadt die Wohnhäuser. Sie werden nach den gleichen Grundsätzen bis heute an Kunstschaffende vermietet.
Wohnhäuser im Edschmidweg
Die ursprüngliche Planung sah die Errichtung von bis zu zehn Wohnhäusern für namhafte, in Darmstadt tätige Künstler vor, von denen in der ersten Bauphase drei Gebäude erstellt werden sollten. Für zwei davon waren mit dem jungen Theaterintendanten Gustav Rudolf Sellner und dem einflussreichen Philosophen und Schriftsteller Kasimir Edschmid auch bereits die gewünschten Bewohner gefunden. Das dritte und auch alle weiteren Bauten dieser Planungsidee wurden aufgrund fehlender finanzieller Mittel und mangels passender Mieter jedoch nie realisiert.
Die Auswahl der Architekten ebenso wie die Gestaltungsplanung für die beiden Wohnhäuser Edschmid und Sellner fand in enger Abstimmung mit ihren zukünftigen Bewohnern statt und hatte zwei höchst individuelle Entwürfe zum Ergebnis, die ab 1955 umgesetzt wurden.
Mit der Erstellung eines ganzheitlichen Gestaltungskonzepts für das Baugebiet wurde zeitgleich der Landschaftsarchitekt Hermann Mattern beauftragt. Jedoch fand keiner der neun Entwürfe, die Mattern mit seinen Schülern an der Kasseler Werkakademie entwickelt hatte, Anklang. Bis zum Ende der Bautätigkeiten auf der Rosenhöhe 1967 wurde kein weiteres Bebauungskonzept erarbeitet.
Edschmidweg 23, Haus Edschmid
U.a. begründet auf ihrer gemeinsamen Teilnahme an der landesweit beachteten Symposiumsreihe „Darmstädter Gespräche“ (Nr. II., Mensch und Raum, August 1951) entschied sich Kasimir Edschmid beim Bau seines Hauses für das innovative Frankfurter Architektenduo Alois Giefer und Hermann Mäckler. Baubeginn war im Spätsommer 1955, für die Bauzeit benötigte man nur ca. drei Monate. Mit Bedacht auf die Parkgestaltung entstand ein zurückhaltend in das Gelände eingebrachter eingeschossiger Baukörper, dessen Abwinkelung von Wohn- und Schlaftrakt eine lichtorientierte Ausrichtung nach Süden erlaubte. Die gleichzeitige Höhenanpassung an den leicht abfallenden Baugrund ergab für den östlich gelegenen Wohntrakt außerdem eine größere lichte Raumhöhe als für den westlichen, streng pragmatisch gegliederten Schlaftrakt mit insgesamt vier Schlafräumen. Das Gelenk der abgewinkelten Bauteile nimmt den zentralen Ess- und Aufenthaltsbereich auf, an den sich im Osten u.a. ein kleines Sekretariat und das mit einem Kamin bestückte, große Wohn- und Arbeitszimmer des Hausherrn anschließen. Haus Edschmid wurde 1957 vom Land Hessen mit dem Preis für vorbildliches Bauen ausgezeichnet. Eine Dacherneuerung erfolgte bereits 1969.
Edschmidweg 25, Haus Sellner
Wahrscheinlich aus den gleichen Beweggründen fiel die Wahl Gustav Rudolf Sellners auf den renommierten Düsseldorfer Architekten Hans Schwippert. Der kurze Zeit nach dem Haus Edschmid begonnene Bau war im Frühjahr 1956 bezugsfertig.
Eingebettet in dem leicht abfallenden Gelände der Rosenhöhe entstand ein eingeschossiger, rechteckiger Baukörper mit mittig angesetztem, risalitartigem Vorbau an der Südseite. Wie bei Haus Edschmid öffnet sich Haus Sellner nach Süden. Der T-förmige Grundriss mit zentraler Eingangssituation gliedert sich in Wohnbereich (Westseite), Gäste- und Kinderzimmer (Ostseite) sowie einen großen, zentralen, einmal abgestuften Wohn- und Empfangsraum (‚Sälchen‘) mit offenem Kamin im Vorbau. Die dadurch erzeugte Hierarchisierung der Räume erinnert an das Konzept von Zuschauerraum und Bühne und ist als Reminiszenz an die Profession Sellners zu verstehen.
Die schlichte, weiß verputzte Fassade mit ihrem streng symmetrischen Aufbau und der Gliederung durch eine enge Fensterreihe mit hölzernen Klappläden ist typisch für die eher konservative Formensprache Schwipperts. Die seitlich des Vorbaus gelegenen Terrassen sind mit einer damals hochmodernen Wellplexiglas-Überdachung versehen.
Wohnhäuser im Ludwig-Engel-Weg
Aus der langwierigen und ergebnislosen Planung zu einem dritten Künstlerwohnhaus erwuchs 1957 der Vorschlag Kurt Jahns für eine zusätzliche Planung von Künstlerwohnungen auf der Rosenhöhe. Abseits der beiden fertig gestellten Häuser, auf einem schmalen Geländestreifen nordöstlich des Löwentores, sollte nun, ähnlich der Weißenhofsiedlung in Stuttgart, eine ganze Reihe zwar weniger individueller, jedoch modernen Ansprüchen genügender, günstiger Wohnhäuser entstehen, die nach ihrer Fertigstellung an junge Künstler und deren Familien vermietet werden konnten. Die Auswahl der Architekten galt es diesmal mittels eines Wettbewerbs zu treffen, der jedoch zu keinem umsetzbaren Ergebnis führte. Nach zeitlichen Verzögerungen und weiteren Diskussionen fiel die Wahl der Vereinsmitglieder schließlich auf eine in Darmstadt ansässige Architektengemeinschaft. Mit der Errichtung von insgesamt drei Bautypen, jeweils bestehend aus einem Atelier- und einem Wohngebäude für Junggesellen bzw. Familien, wurden die Architekten Reinhold Kargel, Rolf Prange und Bert Seidel beauftragt. Auf dem nun südöstlich des Löwentors ausgewiesenen Gelände entstanden so zwischen 1963 und 1967 sieben weitere Künstlerhäuser, die zügig vermietet wurden. Erste Sanierungsmaßnahmen mussten bereits 1977 an fast allen Häusern vorgenommen werden.
Ludwig-Engel-Weg 1, 3, 5
Die drei durch Rolf Prange ausgeführten Wohnhäuser vom sogenannten Bautyp B liegen eng an der heute als Ludwig-Engel-Weg bezeichneten Hauptallee am Löwentor. Bestehend aus zwei freistehenden Gebäudeteilen sowie einem kleinen Innenhof und mit ca. 200 m² Wohn- und Arbeitsfläche sind sie die geräumigsten Wohneinheiten, die entsprechend für Familien mit Kindern gedacht waren. Dem eingeschossigen, in der Außengestaltung zurückhaltend aus Klinker und Sichtbeton erstellten Wohntrakt ist ein keilförmiges Ateliergebäude aus schalungsrauem Sichtbeton mit Pultdach vorgelagert. Seine ungewöhnliche Form mit der charakteristischen, gemäß ihrer Funktion nach Norden ausgerichteten Glasfront bestimmt das Erscheinungsbild des Ensembles. Die in schmale Rechtecke gegliederten Glasflächen sind von einer Stahl-Alu-Rahmenkonstruktion gefasst. Im Inneren wurde eine Galerie für „die Schau von Oben“ eingezogen, die etwa ein Drittel der Raumfläche einnimmt und durch eine schmale Treppe erreichbar ist. Der getrennt stehende, zurückliegende Wohntrakt enthält einen Wohnraum mit Kamin, Esszimmer und drei weiteren Räumen sowie Bad, Diele und Küche. Er ist nach Süden zu einer großen Gartenfläche hin geöffnet und teilunterkellert. Der kleine Hof im Winkel zwischen Atelier und Wohnhaus ist als Wäschetrockenplatz gedacht. Der Erstbezug der drei Häuser erfolgte durch Georg Hensel (Kritiker und Schriftsteller), Wilhelm Loth (Bildhauer) und Karl Krolow (Lyriker). Ateliergebäude und Wohnhaus Nr. 1 wurden 2016/17 saniert.
Ludwig-Engel-Weg 9
Der im Gelände etwas weiter nach Süden gerückte Bautyp C, ausgeführt von Bert Seidel, existiert nur einmal und ist der erste fertig gestellte Bau der sieben Wohnhäuser. Er unterscheidet sich von Bautyp B durch den eher quadratischen Grundriss des ebenfalls unterkellerten Wohntraktes und dessen bauliche Anbindung an den seitlich leicht versetzten Atelierbau durch eine Diele. Der Atelierbau entspricht dem Bautyp B, die Erschließung der Galerie erfolgt jedoch durch eine Wendeltreppe. Mit einer Gesamtnutzfläche von ca. 180 m² ist er etwas kleiner als Bautyp B und wurde zuerst von dem angesehenen Lyriker Frank Thieß bezogen. In den 1980er Jahren wurde ein kleiner Wintergarten an der Nordseite des Wohntraktes angebaut.
Ludwig Engel-Weg 11, 13, 15
Die drei Wohnhäuser des Bautyps A, ausgeführt von Reinhold Kargel, liegen wiederum weiter südlich von Haus Ludwig-Engel-Weg 9 (Bautyp C) und sollten mit rund 130 m² Nutzfläche vornehmlich an alleinstehende Künstler vermietet werden. Dem vorgelagerten kleinen Hofraum folgt seitlich der Wohntrakt, bestehend aus einem Wohnzimmer, einer Schlafnische sowie Diele, Küche und Bad. Das Gebäude ist nicht unterkellert. Das dem Bautyp B baugleiche Ateliergebäude beschließt den Hofraum nach Süden und ist an der Ostseite mit leichtem Versatz direkt an den Wohntrakt angebunden. Der Erstbezug der Wohnhäuser des Bautyps A erfolgte durch Hans Maria Wingler (Direktor des Bauhaus-Archivs), Gabriele Wohmann (Schriftstellerin) und Heinrich Schirmbeck (Schriftsteller). Ludwig-Engel-Weg 11 wurde nach Auszug des Mieters 1993 saniert.
Als bedeutende Zeugnisse für die Reaktivierung des kulturellen Lebens und die Fortführung der künstlerischen Traditionen in der kriegszerstörten Stadt Darmstadt während der Phase des Wiederaufbaus nach 1945 sowie als baukünstlerische Beispiele sowohl für den anspruchsvollen und individuellen als auch für den pragmatischen (Sozial-)Wohnungsbau der 1950er- und 1960er-Jahre, sind die Wohnhäuser der Neuen Künstlerkolonie Rosenhöhe aus geschichtlichen und künstlerischen Gründen als Einzelkulturdenkmäler im Rahmen einer Sachgesamtheit gem. § 2.1 Hess. Denkmalschutzgesetz innerhalb der Gesamtanlage Rosenhöhe zu bewerten.