Sachgesamtheit aus Krankenhaus (1926-27, Architekt Friedrich Ronnefeld), Liege-(Leichen-)halle (1928, Architekt Friedrich Minner) und Gräberfeld (seit 1984 Gedenkstätte).
Geschichte
In der NS-Zeit (zur Vorgeschichte des Kalmenhofs siehe Idstein, Kalmenhof) war die Heilerziehungsanstalt Kalmenhof in Idstein an Euthanasie-Verbrechen beteiligt und Teil der „Aktion T4“, die die Tötung sogenannten „unwerten“ Lebens zum Ziel hatte. Aus dem Kalmenhof wurden 230 Bewohnerinnen und Bewohner zur Ermordung in Hadamar abgeholt. Danach war der Kalmenhof zusammen mit acht weiteren Orten Zwischenstation auf dem Weg zur Tötungsanstalt in Hadamar. Nach dem Abbruch der Aktion vor allem aufgrund kirchlicher Proteste wurde im Kalmenhof dennoch weiter getötet. Diese Morde fanden zum Teil im Rahmen der so genannten „Kindereuthanasie“ statt. Der „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten Leiden“ diente als Tarnorganisation für diese „Kindereuthanasie“. Im Rahmen dieser Aktion wurden Neugeborene und Kinder erfasst, die als körperlich und geistig behindert wahrgenommen wurden. Im sog. Krankenhaus des Kalmenhofes wurde dazu 1941/42 eine der etwa 30 „Kinderfachabteilungen“ eingerichtet. Hier wurden zunächst Kinder im Auftrag des Reichsausschusses ermordet. Später wurden in großer Zahl weitere Morde an kranken und behinderten Menschen durchgeführt, die aus Nord- und Westdeutschland auf den Kalmenhof verlegt wurden. Im Kalmenhof starben laut Sterberegister des Standesamts Idstein bis Kriegsende 719 Menschen, überwiegend Kinder und Jugendliche. Die Opfer wurden nicht wie in Hadamar durch Gas, sondern durch hochdosierte Medikamente und durch Nahrungsentzug umgebracht. Täter waren die dort beschäftigten Ärzte sowie Teile des Pflegepersonals.
Nach Kriegsende war der Kalmenhof durch verwundete Soldaten, Heimatvertriebene sowie wenige Kinder und Jugendliche belegt. Am 7. Mai 1953 kam es zum Zusammenschluss der regionalen Bezirkskommunalverbände und zur Gründung des Landeswohlfahrtsverbandes (LWV) Hessen, der als neuer Träger des Kalmenhofs fungierte. Seit 2008 ist der Kalmenhof Teil einer Holding, die durch die Vitos GmbH gesteuert wird. Die Liegenschaft befindet sich derzeit im Besitz der Vitos Rheingau.
Krankenhaus
Das Krankenhaus am Veitenmühlenweg 9 wurde von dem Frankfurter Architekten Friedrich Ronnefeldt entworfen und 1926/27 errichtet. Das dreigeschossige Gebäude ist mit seiner östlichen Längsseite teilweise in den Hang hineingebaut und besaß im Erdgeschoss einen heute vermauerten talseitigen Eingang. Hangseitig führt ein Nebeneingang in das erste Obergeschoss, was die Isolierung einzelner Stationen ermöglichte. Darüber lag das etwas niedrigere zweite Obergeschoss. Zudem erhielt das Krankenhaus ein ausgebautes Dachgeschoss mit Walmdach und mehreren Dachgauben. 1931 erweiterte der Wiesbadener Architekt Friedrich Minner das Krankenhaus an der Nordseite um einen zweigeschossigen Flachbau.
Das Krankenhaus war der Hauptort der NS-Euthanasie im Kalmenhof. Während des Zweiten Weltkriegs befand sich im Erdgeschoss des Krankenhauses die sogenannte Ambulanz (ein Untersuchungs- und Behandlungsraum). Weitere Räume dieses Geschosses waren ein Labor, ein Verbandszimmer, der Flur als Wartebereich, ein Luftschutzraum sowie der Heizungsraum. Das erste Geschoss diente ab Ende 1939 als Lazarett der Wehrmacht. Es wurde zwischenzeitlich geräumt und im August 1941 erneut als Lazarett genutzt. Auf diesem Geschoss befand sich auch ein Röntgenraum. Das zweite Obergeschoss diente dem Krankenhausbetrieb des Kalmenhofs. Um 1941/42 wurde die „Kinderfachabteilung“ im ausgebauten Dachgeschoss eingerichtet. Die zeitweilige Überbelegung des Krankenhauses führte, ausgenommen das Lazarett des ersten Obergeschosses, zur Verwendung aller Geschosse. Die Quellen belegen, dass die Tötungen nicht auf einzelne Räume beschränkt waren.
Liegehalle (Leichenhalle)
Auf einer höher gelegenen Terrasse oberhalb des Krankenhauses wurde 1928 von Ludwig Minner eine Liegehalle errichtet. Die querrechteckige Halle erhielt eine dreiseitige dünne Ziegelmauer und war bis auf zwei Holzstützen komplett nach Süden hin geöffnet. Die Stützen trugen ein weit vorkragendes, schiefergedecktes Pultdach, das heute durch Well-Eternit ersetzt ist. Es ist zu vermuten, dass die Liegehalle frühestens mit der Gleichschaltung des Kalmenhofs 1933 nicht mehr benutzt wurde. 1937 wurde der Halle rückwärtig ein fünf auf drei Meter großer Raum angebaut, der als provisorische Leichenhalle diente. In der Liegehalle wurden die Geräte des Totengräbers gelagert, darunter drei Klappsärge unterschiedlicher Größe. Ein Klappmechanismus sorgte dafür, dass die Leichname nach der Beerdigung in die Grube fielen und der Sarg wiederverwendet werden konnte. Dazu heißt es im Abschlussbericht des Forschungsprojekts „Kalmenhof/Idstein“: „Ohne die Leichenhalle hätten die Abläufe im Kalmenhof-Krankenhaus gegenüber den Angehörigen nicht über Jahre einigermaßen erfolgreich verdeckt werden können.“ (Jenner/Schneider 2018, T. 1, S. 40).
Gräberfeld (Freifläche)
Die Opfer der NS-Euthanasie in Idstein wurden zunächst auf dem städtischen Friedhof bestattet, später eine kurze Zeit auf dem gekauften ehemaligen jüdischen Friedhof am Stadtrand. Ab 1942 wurden die Toten dann auf einem eigenen Kalmenhof-Friedhof begraben, wobei die einzelnen Gräber auf den Gräberfeldern nur zum Schein oder gar nicht näher ausgewiesen wurden. Das einzige bisher erfasste Massengrab befindet sich unter der Freifläche auf einer Geländeterrasse südlich des Krankenhauses. Hier wurde 1984 eine Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie-Verbrechen eingerichtet. Am südlichen Ende der Geländeterrasse errichtete man ein Kreuz mit der Inschrift: „Zur Erinnerung an die Opfer der Verbrechen im Kalmenhof/Idstein während der Zeit des Nationalsozialismus“. Die Freifläche der Gedenkstätte umfasst nachweislich nicht alle Graborte (Jenner/Schneider 2018, T. 1, S. 51). 1986 wurde die Gedenkstätte um ein Mahnmal, eine niedrige Mauer aus Naturstein in Form eines Dreiviertelkreises, erweitert. Die Steinplatten der Mauer tragen die Inschrift: „Zur Erinnerung an die Opfer der Gewaltherrschaft – Mehr als 600 Kinder und Erwachsene aus dem Kalmenhof wurden in den Jahren 1941–1945 ermordet – Viele der Opfer liegen hier begraben – Anzahl und Lage der einzelnen Gräber sind unbekannt“. Die Freifläche des Gräberfeldes steht stellvertretend für mehrere Massengräber auf dem ehem. Kalmenhof-Gelände und bildet einen Teil der Sachgesamtheit.
Veränderungen und Zustand der Bauten
Die Räume des Krankenhauses wurden nach dem Krieg mehrfach verändert. 1969 wurde dort die erste kinder- und jugendpsychiatrische Klinik Hessens eingerichtet. 1974 zog die Institution aus. Bis zu seiner Schließung wurde das Haus als Kinder- und Jugendheim genutzt. Aus dieser Zeit stammen die jüngsten Veränderungen. Die Räume wurden zu Wohn- und Aufenthaltsräumen umgestaltet, Küchen, Bäder und WCs wurden den zeitgenössischen Standards angepasst. Das Auge des Treppenhauses wurde absturzsicher geschlossen. Der zur Hangseite im Erdgeschoss gelegene Eingang wurde vermauert und im Erdgeschoss Räume für Betreuer und Ärzte eingerichtet.
Die weitgehend erhaltene Liegehalle samt rückwärtiger Leichenkammer wurde spätestens mit der Schließung des Krankenhauses zugemauert sowie mit einer Tür und zwei Fenstern aus Glasbausteinen geschlossen.
Begründung
Der Kalmenhof war im Rahmen der „Aktion T4“ wichtige Zwischenstation auf dem Weg nach Hadamar. Die Verantwortlichen agierten nach dem Abbruch der Aktion im Kalmenhof eigenständig weiter an der Tötung sogenannten „unwerten“ Lebens. Krankenhaus und Liegehalle sind zwar überformt, in ihrem historischen Bestand aber erhalten. Sie bilden zusammen mit dem Gräberfeld einen Geschehensort des NS-Regimes, der aufgrund seines hohen Zeugniswertes zwingend zu erhalten ist. Krankenhaus, Liegehalle und Gräberfeld stehen daher als Sachgesamtheit gemäß § 2 Abs. 1 HDSchG aus geschichtlichen Gründen unter Denkmalschutz.
Literatur:
- Vitos Kalmenhof (Hrsg.): 125 Jahre Kalmenhof. Facetten seiner Geschichte. Idstein 2013.
- Jenner, Harald; Schneider, Christoph: Forschungsprojekt Kalmenhof/Idstein. 2 Teile, o. O. 2018.