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Geschichte und Konzept

1961 wurde der österreichische Architekt Franz Schuster (1892-1972) mit der Planung eines Schulzentrums für die in Entstehung begriffene Nordweststadt betraut. Schuster war auf dem Gebiet des Schulbaus besonders profiliert. Zur Mailänder Triennale 1960 mit dem Thema „Erziehung und Schulbau“ war er für den offiziellen Beitrag Österreichs verantwortlich. Er plädierte dabei nochmals für sein Konzept einer „Hallenschule“, deren Grundmodul aus zwei annährend quadratischen Klassenräumen mit einem verbindenden Gemeinschaftsraum bestand. Bereits 1929 verwirklichte Franz Schuster diesen Typus für die Volksschule Niederursel, als er unter Ernst May am Projekt „Das Neue Frankfurt“ mitarbeitete. In rudimentärer Form ist der ursprüngliche Schuster-Entwurf für Niederursel als Teil der gegenwärtigen Heinrich-Kromer-Grundschule erhalten. Drei Jahrzehnte später gelang es Schuster mit dem Schulzentrum für die Nordweststadt, den eigenen Prinzipien des Schulbaus in Kontinuität zu folgen und sie unter äußerst komplexen neuen Anforderungen weiter zu entwickeln.

Das Schulzentrum, das mit seiner Fertigstellung 1965 den Namen des von 1950 bis 1953 in Berlin amtierenden Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter erhielt, sollte von Beginn an vier räumliche und pädagogische Schwerpunkte umfassen. Die Förderstufe des 5. und 6. Schuljahrs, die alle von der Grundschule wechselnden Schüler und Schülerinnen gemeinsam unterrichten sollte. Im Anschluss eine Haupt-, eine Realschule sowie ein Gymnasium bis zur 10. Schuljahr. Der räumliche Bezug unterschiedlicher Schultypen sollte Schulwechsel nicht ausschließen. Ein integrierendes Konzept, das 1963 als „Gesamtschule“ programmatisch gefasst und mit der Ernst-Reuter-Schule realisiert wurde.

Integration war nicht nur das Leitmotiv für den Schulbetrieb, sondern auch für das Verhältnis zum umgebenden Stadtgebiet. Die Sporteinrichtungen der Schule sollten den örtlichen Vereinen zur Nutzung offen stehen. Die als eigener Baukörper gestaltete Aula richtete mit den Bühnen im geschlossenen wie im offenen Raum ihr Angebot von Film, Theater, Vortrag und Diskussion auch an die städtische Öffentlichkeit. Individuation und Gemeinsamkeit als inhaltliches Ziel der Schulbildung spiegelt sich in der baulichen Gesamtform der Schule wider.

Beschreibung

Zwei längsrechteckig der Ost-West-Ausrichtung folgende Schulhöfe bilden den räumlichen Kern der Ernst-Reuter-Schule. Benannt nach den ursprünglichen Baumpflanzungen der länglichere Ulmenhof im Westen und der Birkenhof im Osten. Ein würfelförmiger dreigeschossiger Baukörper mit zentralen Einrichtungen trennt freistehend die beiden Höfe. Brückenartige Überbauungen im ersten Obergeschoss schließen an die die beiden Höfe über die gesamte Länge im Süden wie im Norden flankierenden zweigeschossigen Flügelbauten an. In ihnen befinden sich Fach- und Nebenräume, vor allem aber die zentralen Zugänge zur Aula und zu den einzelnen Schulgebäuden, die sich in die Außenräume Richtung Süd und Nord erstrecken.

Die Klassenräume aller vier Schulgebäude variieren das Schuster´sche Thema der paarweise durch gemeinschaftliche Nutzung verbundenen Klassenräume. In der Förderstufe sowie in Haupt- und Realschule folgt ihre Anordnung trapezförmig sich zu den folgenden Gartenräumen öffnenden Höfen. Laubengänge, Überdeckungen, teils von kreisförmigen Öffnungen durchbrochen, verweben die geschlossenen Räume kunstvoll mit dem Äußeren. Das viergeschossige Gymnasium überragt die sonst zweigeschossigen Schulbauten. Die Klassenräume umgeben hier auf allen Ebenen eine geschlossene Pausenhalle, ebenfalls trapezförmig wie die Höfe der übrigen Schulgebäude. Der nach Süden gelegenen Stirnseite des Gymnasium-Treppenhauses sind in den beiden oberen Geschossen offene Loggien als Aufenthaltsraum vorgelagert, die im Aufriss ein klassizistisches Architekturmotiv zitieren. Das insgesamt flachgedeckte Schulensemble, dessen Bestandteile mit Ausnahme der Sporthallen alle im geschlossenen Raum fußläufig miteinander verbunden sind, ist architektonisch als kubisch-additiv zu charakterisieren. Die Fensteröffnungen sind konsequent den unterschiedlichen Raumfunktionen zuzuordnen. Besondere Zugänge werden durch Vordächer akzentuiert. Das hohe Maß an funktional bestimmter Entwurfssystematik verhinderte nicht ein bewegt-organisches Gesamtbild der Architektur, zu dem die eigens gestalteten Freiflächen wesentlich beitragen.

Eine besondere Rolle spielen die solitären Sporthallen. Um die Erreichbarkeit für externe Nutzer zu erleichtern, sind sie unmittelbar den beiden Zugängen des Schulareals im Osten und Westen zugeordnet. Im Zusammenwirken mit zwei weiteren Solitärgebäuden mit Hausmeisterwohnungen gewährleisten sie eine räumliche Führung zu den beiden großen Schulhöfen. Die unmittelbar umgebenden Freiflächen für Turnen und Gymnastik vermitteln wiederum mit den Freiflächen der einzelnen Schulgebäude. So erscheinen alle Elemente der Schulanlage in einem durchgängigen Raumkontinuum, das in einem feingesponnenen Wegenetz mit Pausenfreiflächen zu den Rändern hin fortgeführt wird. Es wird vervollständigt durch ein durchdachtes botanisches Konzept, das Aspekte wie Blattwerk sowie Blatt- und Rindenfärbung berücksichtigt. Ein umfangreiches Programm „Kunst am Bau“ wurde pointiert platziert.

Beschreibung der Außenanlagen

Die  Verzahnung der Schulgebäude mit den umgebenden Freiräumen lässt auf dem Schulgelände eine Vielzahl von Außenräumen unterschiedlicher Funktionen und Bedeutungen entstehen. Sie sind introvertiert, das heißt die umgebenden Räume der Nordweststadt treten auf dem Schulgelände zwar visuell in Erscheinung, funktionelle Bezüge gibt es aber nicht. Sie bleiben begrenzt auf die Hauptzugänge im Osten und Westen. Die zentralen Pausenräume Ulmenhof und Birkenhof sowie die den jeweiligen Schulabteilungen zugeordneten kleineren Höfe dienen bis heute der Pause, als Lernorte mit integriertem pädagogischen Programm und für Bewegung und Sport. Ein Rundweg verbindet alle schulischen Außenräume. Die Bepflanzung folgte verschiedenen Themen: Pflanzen des Taunus, Pflanze und Tier, Pflanze und Wasser, Pflanze und Licht, Pflanzensoziologie und exotische Pflanzen, Steingarten zur Vermittlung der Geologie und der Schulgarten zur Vermittlung biologischer Kenntnisse. Weitere Themen in den Freiräumen umfassten die Naturwissenschaften wie eine Wetterstation, eine Sonnenuhr und Großmodelle Keplerscher Urformen und schließlich Kunstobjekte vorgesehen zur Zierde, zur Betrachtung und zur Interpretation.

Die verwendeten Materialien wie die Formensprache sind der Entstehungszeit der Schulanlage verhaftet. In den Höfen werden Sitzbereiche von benachbarten Hochbeeten flankiert, Plattenbeläge und Pflasterungen sind grafisch - polygonal gestaltet. Pergolen aus Beton oder Stahl mit Holzauflagen und die zugehörigen Sitzbänke folgen gleichfalls dem Duktus der Entstehungszeit.

Veränderungen

Die Anlage ist in ihrer Gesamtheit in einem guten Erhaltungszustand. Hervorzuheben ist die Aula, die sich in Ausbau, Mobiliar und Farbgebung bauzeitlich erhalten hat. Abgesehen davon wurden viele der ursprünglichen Ausbauelemente ausgetauscht. Eine schwerer wiegende Veränderung war die aus bauphysikalischen Gründen erfolgte Aufdoppelung der durchgängigen Fassadenverkleidung mit vertikal gestellten Keramikriemchen, die die feine Umrisszeichnung der Baukuben und deren Öffnungen empfindlich beeinträchtigte. Schließlich ging mit dem Neubau der Europäischen Schule die Beseitigung des im Westen gelegenen Wettkampfstadions einher. Das offene Freiraumkonzept büßte auf diese Weise ein wesentliches Motiv ein. Im Süden wurde 2002 neben der Sporthalle das Polytechnikum errichtet. Der Flächenbedarf erzwang die Abkehr vom Prinzip, die äußeren Grenzen des Schulareals ausschließlich mit Freiräumen zu belegen. Im Einzelfall wird zusätzlicher Raumbedarf durch Containeranlagen behoben, die das stringente Freiraumkonzept verstellen.

Das heute anzutreffende Pflanzspektrum ist gegenüber dem ursprünglichen Konzept  reduziert. Im heute von Baumhasel, Ahorn, Eiche und Kirsche dominierten Ulmenhof fehlen die namengebenden Ulmen. Die Rhododendren und Azaleen sind aus dem für sie vorgesehenen Bereich verschwunden. Das Thema der exotischen Pflanzen mit besonderen Blattfärbungen und dekorativen Blattformen ist gewöhnlicheren Straucharten gewichen. Von der im Bereich „Pflanze und Wasser“ ursprünglich angedachten feuchten Wiesenzone mit Weiden ist heute ein Sitzplatz mit Becken geblieben, begleitet von einem Teichrest mit Gehölzaufwuchs.

Das pädagogische Programm im Freiraum wurde gleichfalls reduziert. Die Kunstobjekte sind nur noch teilweise am ursprünglichen Ort vorhanden. Die Wetterstation und die Keplerschen Urformen fehlen. „Pflanze und Tier“ mit Hühnerhaltung, Insektenhotels oder auch eine Kletterwand sind zu beobachtende Weiterentwicklungen.

Bei Ausstattung und Materialien kam es sukzessive zu für den Schulbetrieb notwendigen Ergänzungen. Neue Geländer wurden angebracht, Rampen errichtet und zusätzliche Sitzbänke und Pflasterungen in eigener neuer Formensprache integriert. Den Erfordernissen des heutigen Schulbetriebs folgende Weiterentwicklungen sollten die übergeordnete inhaltliche und gestalterische Funktion der Freiräume für die Ernst-Reuter-Schule nicht schmälern.

Denkmalbegründung

1969 rief der Deutsche Bildungsrat zu vermehrten Schulversuchen mit dem Modell der Gesamtschule auf. Vor diesem Hintergrund kommt der Ernst-Reuter-Schule eine über Frankfurt hinausreichende Vorreiterrolle zu. Sie wurde zu einem Kulminationspunkt schulpolitischer Kontroversen, die bis in die Gegenwart andauern. Der Entwurf des Architekten Franz Schuster führte die Aspekte des Hochbaus, der Freiraumgestaltung und der bildenden Kunst zu einer vollkommen schlüssigen Gesamtkonzeption. Bestechend ist dabei die zu beobachtende Formsicherheit, über die der Architekt verfügte und die für alle späteren Veränderungen einen hohen Qualitätsmaßstab der Planung vorgab. Die Ernst-Reuter-Schule ist ein funktionaler und räumlicher Baustein im städtebaulichen Gefüge der Nordweststadt, die mit dem auf den Architekten Walter Schwagenscheidt zurückzuführenden Begriff der Raumstadt verbunden ist. Zusammen mit Tassilo Sittmann hat Walter Schwagenscheidt den 1959 durchgeführten städtebaulichen Wettbewerb zur Errichtung der Nordweststadt gewonnen. Bei der folgenden Realisierung, mit der drei Wohnungsbaugesellschaften betraut wurden, waren die beiden Planer nur beratend tätig und das stadträumliche Konzept musste gegenüber der Ökonomie des Wohnungsbaus in den Hintergrund treten. Die Ernst-Reuter-Schule Schusters kann dagegen als exemplarisch gelungene „Schulraumstadt“ im Sinne Schwagenscheidts gelten. Der Schulkomplex ist Sachgesamtheit aus geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen.

 

Literatur:

Die „Schuster-Schule“ in Frankfurt am Main und Volksschule in Frankfurt –Niederursel, Bauwelt 3/1967, 58. Jahrgang Berlin.

Gesamtschule Nordweststadt Frankfurt a.M., Wege zur neuen Stadt, Schriftenreihe Planung und Bau, Stadtwerke und Verkehr der Stadt Frankfurt am Main, Band 5, Frankfurt 1968.

Franz Schuster 1892-1972, Hochschule für angewandte Kunst in Wien, 11, 1976.

Andrea Gleiniger-Neumann, Vom Bauen für die „Offene Gesellschaft“ – Die Nordweststadt in Frankfurt, in: das NEUE FRANKFURT, Städtebau und Architektur im Modernisiserungsprozess 1925-1988, herausgegeben von Walter Prigge und Hans-Peter Schwarz, Frankfurt am Main 1988.

Architekturzentrum Wien, Architektenlexikon, Wien 1770-1945.

siteDesignation
baudenkmal
siteName
Frankfurt, Stadt_Frankfurt_Niederursel_Hammarskjöldring 17a
siteProtectionClassification
cultural
designationLegalDefinition
gesamtanlageHE