Genossenschaftliche Wohnsiedlung des Volks-, Bau- und Sparvereins nach dem Entwurf von August Hundt von 1919-21.
Ährenstraße 3-12; Garbenstraße 2, 4, 6, 8; Halmstraße 1-10; Wurzelstraße 3, 5, 7, 9, 11
Baugeschichte
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs herrschte im sozialen Wohnungsbau in Frankfurt ein großer Mangel an Kleinwohnungen. Die wirtschaftlichen Folgen der Hyperinflation verhinderten bis 1924 eine Behebung dieses Mangels. Die einzige Baugenossenschaft, die in den frühen Nachkriegsjahren von der Stadt unabhängig ein Siedlungsbauprojekt erfolgreich abschließen konnte, war der Volks-, Bau- und Sparverein. Die 1901 gegründete Genossenschaft plante bereits 1913 eine Arbeitersiedlung im Gutleutviertel durch deren Hausarchitekt August Hundt. Der Entwurf orientierte sich an der wenige Jahre zuvor für die Genossenschaft von August Hundt und seinem 1911 verstorbenen Bruder Heinrich begonnenen Riederwaldkolonie. Die Bedingungen der Kriegswirtschaft erzwangen die Aufgabe des Projekts im Gutleutviertel, welches 1919 unter veränderten Wirtschaftsbedingungen als zweigeschossige Reihenhaussiedlung neu entstand. Geplant waren acht Häuserzeilen mit 146 Wohnungen (1-, 2- und 3-Zimmer-Wohnungen mit Küche und Frankfurter Bad), von denen bis 1920 jedoch nur sechs Zeilen mit 116 Wohnungen vollendet werden konnten. Baubeginn war der 12. Dezember 1919, die letzten beiden Blöcke konnten am 1. Juli 1921 bezogen werden. Die Siedlung befindet sich bis heute im Besitz des Volks-, Bau- und Sparvereins.
Beschreibung
Die Siedlung Gutleutstraße, nach einer ihrer Erschließungsstraßen (Wurzelstraße) auch „Wurzelsiedlung“ genannt, besteht aus sechs paarweise angeordneten, zweigeschossigen Wohnzeilen. Die Eingangsbereiche mit ihren Treppenhäusern sind durch einen Quergiebel hervorgehoben. Profilierte, rote Sandsteinrahmen mit Sandsteinreliefs in den Supraporten schmücken die Haustüren. Die Reliefs zeigen Handwerkszeuge (Zangen, Spaten, Hämmer etc.) und verweisen auf das Arbeiter- und Handwerkermilieu ihrer Bewohner. Über jedem Eingang sitzt ein hochrechteckiges Treppenhausfenster sowie im Quergiebel ein Rundbogenfenster am Aufgang zum Dachgeschoss. Den Eingangsbereich flankieren in jedem Wohngeschoss hochrechteckige Fenster mit Fensterläden aus Holz. In den Satteldächern, die in einem Krüppelwalm enden, sitzen kleine Dachgauben zur Belichtung der Dachkammern. An den Gartenfronten wurde die Zahl der Fenster verdoppelt. Die Häuserzeilen wurden hell verputzt. Jede Zeile wurde mit ihrer Eingangsfront auf die jeweilige Erschließungsstraße ausgerichtet, so daß mittig je zwei Eingangsfronten an einer Erschließungsstraße liegen.
Jedes Geschoss erhielt zwei Wohnungen, die über einen zentralen Hauseingang zugänglich sind. Im Eingangsbereich der Häuser finden sich noch die alten schmiedeeisernen, in den Aufgängen zum Obergeschoss hölzernen Treppengeländer sowie die hölzernen Doppelwohnungstüren mit Oberlicht. Die Dachgeschosse weisen je eine Kammer auf, die als Schlafkammer genutzt werden konnte. Im Kellergeschoss liegen Heiz- und Wirtschaftsräume, zugänglich sowohl vom Treppenhaus als auch von der Gartenseite.
Als Baumaterial kamen Mauersteine aus Schlackenbeton zum Einsatz, die lediglich eine zweigeschossige Bauweise erlaubten. Daher musste die ursprüngliche Planung drei- bis viergeschossiger Mehrfamilienhäuser von 1913 aufgegeben werden. Die Anordnung der Reihenhäuser als Zeilenbauten war dagegen am wirtschaftlichsten. Zu jeder Wohnung gehörte ein 120 qm großer Garten zur Selbstversorgung. Diese Größe war auch eine Folge der Zeilenbauweise. Die Mietergärten, heute teilweise zusammengelegt, prägen das Erscheinungsbild der Siedlung bis zum heutigen Tag. Dies gilt auch für die Vorgärten mit ihren niedrigen Hecken anstelle von Zäunen.
Veränderungen
Die Gesamtgestalt der Siedlung hat sich bis zum heutigen Tag erhalten. Fenster und Türen sowie die noch ungedämmten Putzoberflächen und die Dachdeckung wurden erneuert, bieten jedoch ein einheitliches Erscheinungsbild.
Begründung
Die Entstehung der Wurzelsiedlung fällt in die kurze Zeitspanne zwischen dem Weltkriegsende 1918 und der wirtschaftlichen Erholung Frankfurts nach Einführung der Rentenmark 1923. Sie ist die einzige genossenschaftliche Wohnsiedlung vor dem Beginn des von Ludwig Landmann und Ernst May 1925 initiierten Projekts des Neuen Frankfurts und daher von besonderer stadtgeschichtlicher Bedeutung. Ihr guter Erhaltungszustand ist für eine Siedlung diesen Alters außergewöhnlich. Städtebaulich markant ist die Anordnung der Wohnzeilen mit ihren großzügigen Gartenflächen, die bis zum heutigen Tag unverbaut sind. Zugleich kommt den Eingangsbereichen besondere Bedeutung zu. An ihnen kam es verstärkt zum Einsatz künstlerischer Gestaltungselemente, der für den Kleinwohnungsbau der frühen Nachkriegszeit außergewöhnlich ist. Das gilt auch für das Innere der handwerklich qualitätvoll gearbeiteten Treppenhäuser. Die Siedlung besitzt geradezu prototypischen Charakter und verweist bereits Jahre vor dessen Beginn auf den fordistischen Wohnungsbau unter Ernst May.
Die Siedlung Gutleutstraße steht als Gesamtanlage, bestehend aus den Häuserzeilen samt Grünflächen sowie das Innere der Treppenhäuser aus geschichtlichen und künstlerischen Gründen unter Denkmalschutz.
Literatur
19. Geschäfts-Bericht des Volks-, Bau- u. Sparverein Frankfurt am Main für das Jahr 1919. Frankfurt am Main 1920.
Risse, Heike: Frühe Moderne in Frankfurt am Main 1920–1933. Frankfurt/M 1984, S. 229f.
Weis, Ulrike: Über das Bauen in der Weimarer Republik und den Wohnungsbau in Frankfurt am Main von 1919 - 1933. Karlsruhe 1990, S. 86-103.
Strzyz, Klaus; Oppenheimer, Christa, Oppenheimer: Blicke auf Frankfurt. Frankfurter Siedlungen bis 1930. Rodenbach (Hanau) 2014, S. 53-55.